Das vergessene Volk

Es war einmal ein Land, das hoch oben in den Schieferbergen verborgen lag – so abgeschieden, dass es auf keiner Karte der Welt verzeichnet war. Dort lebte ein Volk, das seit Jahrhunderten in Harmonie mit der Natur existierte. Sie nannten sich die Alverni. Obwohl sie fernab der Menschen lebten, hatten sie eine tiefe Verbindung zu den Elementen der Erde, des Wassers, des Windes und des Feuers.

Die Alverni waren friedliche Wesen, die in einfachen Holzhäusern lebten und von den Gaben des Waldes und der Berge zehrten. Sie besaßen eine uralte Weisheit, die von Generation zu Generation weitergegeben wurde, und eine geheime Fähigkeit: Sie konnten mit den Geistern der Natur sprechen und die Elemente beeinflussen. Doch diese Gabe war ein gut gehütetes Geheimnis, das nur die Ältesten des Volkes verstanden und weitertrugen.

Eines Tages, als der Herbst die Blätter goldrot färbte und die Kälte durch das Tal zog, bemerkte ein kleines Mädchen namens Liva, dass etwas nicht stimmte. In den Nächten hörte sie den Wind flüstern – doch diesmal nicht mit dem üblichen sanften Rauschen, sondern mit einer seltsamen Dringlichkeit.

Als sie der Stimme des Windes folgte, führte ihr Weg sie zu einem alten Baum, tief im Wald. Sein Stamm war knorrig, seine Äste griffen wie uralte Arme in den Himmel.

„Liva,“ flüsterte der Wind, „die Zeit ist gekommen. Dein Volk ist in Gefahr.“

Erschrocken sah sich das Mädchen um. „Was meinst du?“ fragte sie. „Wir leben doch in Frieden.“

„Die Menschen haben euch vergessen,“ raunte der Wind, „doch das Land hat es nicht. Das Gleichgewicht der Elemente ist gestört, und es liegt an dir, es wiederherzustellen.“

Liva wusste nicht, was sie tun sollte. Sie war noch jung und kannte die Macht nicht, die tief in den Wurzeln ihres Volkes lag. Doch der Wind zeigte ihr den Weg: Sie musste zu den vier Wächtern der Elemente gehen und von ihnen den Segen erbitten, um das Gleichgewicht wiederherzustellen.

Und so machte sich Liva auf den Weg.

Zuerst fand sie den Wächter des Feuers, der tief im Inneren eines Vulkans lebte. Sein Herz war heiß wie flüssiges Magma, doch er sprach mit einer ruhigen, tiefen Stimme:

„Ich werde dir mein Feuer leihen, wenn du versprichst, es weise zu nutzen.“

Dann reiste sie weiter zum Wächter des Wassers, der in einem klaren Bergsee ruhte. Er war still wie das tiefste Wasser und sagte:

„Nimm meine Kraft, aber bedenke, dass Wasser Leben schenkt – und nehmen kann.“

Der Wächter der Erde lebte tief unter den Wurzeln eines uralten Baumes. Seine Stimme war ein Grollen, das Liva bis ins Mark erschütterte.

„Ich gebe dir die Stärke der Erde, doch vergiss nicht: Sie verlangt Geduld und Ausdauer.“

Zuletzt kam Liva zum Wächter des Windes, der hoch in den Wolken thronte. Er kannte sie bereits, denn er war es, der sie gerufen hatte.

„Du hast den Mut bewiesen, den Weg zu uns zu finden,“ sagte er. „Nimm meinen Wind, doch sei dir bewusst, dass er unberechenbar ist.“

Mit den Gaben der vier Wächter kehrte Liva in ihr Dorf zurück. Doch sie war nicht allein – die Natur selbst begleitete sie. Die Bäume neigten sich vor ihr, das Wasser der Flüsse floss schneller, die Erde unter ihren Füßen war stark und fest, und der Wind blies kräftig durch die Äste.

Als sie ankam, sah sie, dass sich der Himmel verdunkelte. Ein Sturm zog auf – gewaltiger als alles, was ihr Volk je gesehen hatte. Doch Liva hatte keine Angst.

Mit festem Blick trat sie in die Mitte des Dorfes und rief die Kräfte, die ihr die Wächter anvertraut hatten. Feuer, Wasser, Erde und Wind vereinigten sich, und für einen Moment schien die Welt stillzustehen. Dann brach der Sturm los.

Doch statt Zerstörung brachte er neues Leben. Der Wind vertrieb die dunklen Wolken, das Wasser reinigte das Land, das Feuer wärmte die Kälte fort, und die Erde wurde fruchtbar und lebendig.

Das vergessene Volk der Alverni war gerettet – doch es blieb weiterhin verborgen vor den Augen der Menschen. Liva jedoch wurde als Heldin gefeiert. Von diesem Tag an wusste jeder, dass das Gleichgewicht der Elemente in ihren Händen lag – und in den Händen all jener, die auf die Natur zu hören vermochten.

Und so lebten die Alverni weiter in Frieden, unerkannt von der Welt, doch niemals vergessen von der Erde, die sie beschützten.

Wir benötigen Ihre Zustimmung zum Laden der Übersetzungen

Wir nutzen einen Drittanbieter-Service, um den Inhalt der Website zu übersetzen, der möglicherweise Daten über Ihre Aktivitäten sammelt. Bitte überprüfen Sie die Details in der Datenschutzerklärung und akzeptieren Sie den Dienst, um die Übersetzungen zu sehen.