Das Ende der Welt

Eine Geschichte von Stefanie van de Brock

In den rauchigen Nebeln, die sich wie ein Schleier über das Land legten, erhob sich eine uralte Burgruine am Rand der Welt. Die grauen, steinernen Mauern ragten hoch in den Himmel. Ich spürte einen seltsamen Drang, ihnen meinen tiefsten Respekt zu erweisen – sie wirkten auf eine düstere Art bedrohlich und keineswegs einladend. Ich fragte mich, ob es im Inneren dieser Ruine, umgeben von einer wilden, aber kargen Landschaft, vielleicht Windstille gab. Oder ob der Wind dort genauso unnachgiebig wehen würde wie draußen, mit solcher Kraft, dass er mir die Luft aus den Lungen presste und mich zum Schweigen brachte, bis ich schließlich vor Erschöpfung zu Boden sänke.

Ich hielt einen kurzen Moment inne, als ich bemerkte, dass ich mich wieder zu sehr in meinen Gedanken verlor – Gedanken, die ich nicht lebte, sondern nur fühlte. Noch immer lag ich an einen alten Holzzaun gelehnt und fragte mich, wie weit ich schon hätte kommen können, wenn ich nicht einfach hier verweilen würde. Von Weitem hörte ich ein leises Pfeifen, das immer klarer wurde. Ich war zu neugierig, um hier einfach liegen zu bleiben.

Ich machte mich auf den Weg. Die Ruine war noch weit entfernt, doch das Pfeifen wurde lauter, drängender. Das Wetter änderte sich, und dichter Nebel erschwerte meine Sicht. Es fiel mir schwer, mich zu orientieren. Immer wieder suchte ich nach Orientierungspunkten, blickte auf den Boden und folgte den Steinen, die mir den Weg wiesen. Meine Beine schmerzten, denn ich war bereits seit Stunden unterwegs. Vor mir lag nichts als eine weiße Wand aus Nebel, die den Eindruck erweckte, dass hier der Weg endete. Einen Moment lang spielte ich mit dem Gedanken umzukehren. Doch eine innere Stimme sagte mir, dass ich weitermachen musste.

Plötzlich stieß meine Nasenspitze gegen etwas Kaltes. Es war die steinerne Wand der Burgruine. Müde und kraftlos ließ ich mich vor ihr nieder. Nur für einen Moment wollte ich die Augen schließen, um mich auszuruhen. Während die Sonne langsam unterging und der Nebel sich wie ein Mantel über die Landschaft legte, verschwand die Ruine im Dunkel der Nacht.

Als ich am nächsten Morgen erwachte, sah ich über mir ein kleines Fenster, eingerahmt von schroffen Steinen. Der Himmel war noch immer weiß, doch der Nebel hatte sich verzogen, und die Sonne schien hinter den Wolken hervor, so hell, dass ihr Licht meine Augen blendete. Eine tiefgreifende Stille lag über dem Ort, als hätte die Zeit selbst den Atem angehalten. In der Ferne hörte ich das Rauschen des Meeres. Die Wellen tanzten über den Sand, und am Horizont bemerkte ich einen Mann, der mit einem kleinen Holzboot gegen die Brandung ankämpfte.

Je näher er kam, desto deutlicher konnte ich erkennen, dass er eine lange Reise hinter sich haben musste. Sein Gesicht war von den Jahren gezeichnet, doch in seinen Augen lag ein unerschütterlicher Blick. Es war Kapitän Leonidas Sturmherr – einst der mutigste Seefahrer, den das Reich je gekannt hatte. Vor vielen Jahren war er in einem gewaltigen Sturm verschollen. Sein Name wurde zur Legende, sein Schicksal zum Mysterium. Doch nun kehrte er zurück.

Mit letzter Kraft steuerte Leonidas das Boot an Land. Seine Arme ließen erschöpft das Ruder fallen, und er taumelte ans Ufer. Sein Blick fiel auf die Burgruine, die sich in der Ferne erhob, und er beschloss, sie zu erkunden. Vielleicht würde er dort jemanden treffen, der ihm von neuen Abenteuern erzählen könnte.

Als er die Ruine erreichte, bemerkte er mich, wie ich am Fuße der Mauern stand und in die Ferne blickte. In meinen Augen lag Sehnsucht – nach etwas Unbekanntem. Wir kamen schnell ins Gespräch, als hätten wir uns schon immer gekannt.

Leonidas begann zu erzählen: „Über Jahre hinweg habe ich gegen die Mächte des Ozeans gekämpft. Gegen Stürme, gegen Strudel, gegen die Finsternis der Einsamkeit. Doch mein Wille war stark, und mein Ziel war klar.“

Er sprach von den Wundern und Gefahren seiner Reisen: von Inseln, die wie aus Träumen erschienen, und von Meeresungeheuern, von Freundschaften und Verrat. Doch trotz all der Prüfungen hatte er nie die Hoffnung aufgegeben, eines Tages zurückzukehren.

Fasziniert lauschte ich seinen Worten, beeindruckt von seiner Tapferkeit und seinem Überlebenswillen. Schließlich sagte ich: „Ich bin auf der Suche nach Antworten. Ich habe das Gefühl, dass diese Ruine etwas Besonderes birgt.“

Leonidas nickte verstehend. „Ich verstehe“, sagte er. „Auch ich habe oft das Unbekannte gesucht. In der Tat war ich einmal am Ende der Welt.“

Verblüfft sah ich ihn an. „Am Ende der Welt?“, wiederholte ich. „Was hast du dort gefunden?“

Leonidas ließ sich neben mir nieder, seufzte und begann zu erzählen: „Es war eine Reise voller Gefahren und Wunder. Die See war unberechenbar, und die Stürme waren gnadenlos. Doch als ich endlich das Ende der Welt erreichte, fand ich dort etwas, das ich nie erwartet hätte.“

Er sprach von unendlichen Weiten des Ozeans, von Inseln aus purem Gold und von Vögeln, die in den Farben des Regenbogens schimmerten und sprechen konnten. „Diese Vögel nannten sich die ‚Hüter des Endes‘“, erzählte er. „Sie bewachten eine Grenze, an der das Meer in die Leere stürzte – als würde die Welt dort enden.“

„Und was lag jenseits dieser Grenze?“, fragte ich.

„Vielleicht das Ende der Welt“, sagte Leonidas nachdenklich. „Oder vielleicht etwas noch Unerklärlicheres.“

Er erzählte von der Ehrfurcht und der Stille, die an diesem Ort herrschten, und von der Erkenntnis, dass die größten Abenteuer oft nicht im Unbekannten, sondern in den tiefsten Winkeln des eigenen Herzens liegen.

Mit diesen Worten verabschiedete sich Leonidas schließlich. „Das größte Abenteuer liegt oft in uns selbst“, sagte er lächelnd, bevor er zu seinem Boot zurückkehrte, bereit für neue Reisen auf den endlosen Weiten des Ozeans.

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